Sonntag, 19. Januar 2014

Kopfschütteln

Eigentlich wollte ich im Blog erst wieder eine Geschichte veröffentlichen, wenn wir ein neues Projekt im öffentlichen Raum installiert haben. Ein Erlebnis zwingt mich jedoch jetzt zu einer Stellungnahme, die mir sehr am Herzen liegt:

Am 18. Januar 2014 erhielt ich einen Anruf von Herrn Joseph Tabachnyk, dem Kunsthandwerker, der die Willy-Brandt-Plastik in Nürnberg konzipiert und realisiert hat. In dem etwa fünfzehnminütigen Telefonat kam ich insgesamt zweimal zu Wort.

Nachdem er mich aufgefordert hatte, die Wollinstallation am Willy-Brandt-Platz zu entfernen, erhielt er unmissverständlich die höfliche Antwort, dass wir sowieso schon beschlossen hätten die Installation zu entfernen, da sie ihren Zweck erfüllt habe und ihr Vandalismus und Wetter schon sehr zugesetzt haben.

Damit wäre nach meiner Meinung innerhalb von zwei Minuten der Sachverhalt zur beiderseitigen Zufriedenheit geklärt gewesen. Herr Tabachnyk musste mir aber anschließend noch einen langatmigen Vortrag über Menschenwürde halten und seine Missbilligung unserer seiner Meinung nach "nur politisch" - was wäre daran schlimm? - motivierten Aktion zum Ausdruck bringen, mich also wie ein kleines Schulmädchen abmeiern. Sein Sermon gipfelte in juristischen Drohungen und der ultimativen Forderung, dass die Installation noch am selben Tag zu entfernen sei.

Nach diesem für mich nach Inhalt und Ton verstörenden Vorfall gehen mir einige Fragen durch den Kopf:

Wenn jemand als Auftragsarbeit für gutes Geld aus Steuermitteln Kunst in den öffentlichen Raum stellt, hat er dann das Recht anderen verbieten zu wollen, sich mit der Person und dem Wirken des Dargestellten konstruktiv auseinanderzusetzen, sofern man dabei das Kunstwerk nicht beschädigt?

Hat er das Recht, in einem freiheitlich demokratischen System anderen mit seiner Macht zu drohen?

Hat er das Recht, anderen sein subjektives Verständnis von Kunst im öffentlichen Raum aufzwingen zu wollen und aus welcher Autorität leitet es sich ab?

Hat er das Recht, für die von ihm gewählte Kunstform alleinige Gültigkeit zu beanspruchen?

Sollte man von einem Künstler nicht mehr Toleranz im Umgang mit anderen Ausdrucksformen erwarten?

Ist eine Kunstform weniger wert, nur weil sie jahrhundertelang keine Anerkennung gefunden hat, da sie dem „schwachen Geschlecht“ zugeschrieben wurde?

So oft die Mitglieder unserer kleinen Truppe am Willy-Brandt-Platz vorbeikommen, heben wir wie selbstverständlich um die Statue herumliegenden Müll auf und entfernen wenn nötig aufgeklebten Kaugummi von der Nase. Wir übernehmen so Verantwortung und suchen ständig Menschen, die sich bereit erklären auf unsere Kunst zu achten, damit sie nicht sofort dem extrem verbreiteten Vandalismus zum Opfer fällt. Wir entfernen unsere Häkelgraffitis, sobald sie unansehnlich geworden sind.

Bückt sich auch Herr Tabachnyk und hebt den Abfall zu Willys Füßen auf oder kratzt er den Kaugummi von „seinem“ Werk, um die Würde des Dargestellten zu wahren?

Ich bin frustriert und zutiefst enttäuscht von Menschen, die ein solches Kunst-, Demokratie- und Selbstverständnis vertreten. In meiner Nase riecht das muffig nach den eitlen gepuderten Hofkünstlern des 18. Jahrhunderts, die für die Parks ihres Herrn und dessen Plaisier possierliche dekorative Groteskfiguren ohne tieferen Sinn anfertigten.



WIR ABER SIND FREIE, UNABHÄNGIGE, SELBSTÄNDIG UND VERANTWORTUNGSVOLL DENKENDE MENSCHEN IM 21. JAHRHUNDERT IN EINEM FREIEN LAND UND LASSEN UNS WEDER DROHEN NOCH IN EINE SCHUBLADE STECKEN!







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