Donnerstag, 12. Dezember 2013

Willy Brandt

Am 18. Dezember 2013 wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden.

Ein Ereignis, das ich aus persönlichen Gründen auf keinen Fall unkommentiert lassen möchte!



Aber dazu muss ich mich auf eine kleine Zeitreise zurück in meine Kindheit begeben.

Aufgewachsen bin ich in einem Elternhaus, welches stark geprägt war durch Eltern, die ihre Kindheit und Jugend in einem unfreien menschenverachtenden System verbringen mussten. Eine Mutter, die als Kind die Deportation jüdischer Mitbürger miterlebt hatte. Ein Vater, der als Siebzehnjähriger seine Ausbildung abbrechen musste, um für das sogenannte "Vaterland" in den Krieg zu ziehen. Er war nie wirklich fähig, uns seine höchst traumatischen Kriegserlebnisse mitzuteilen. Wir konnten es nur erahnen.

Meine Eltern gaben ihr Erlebtes als Botschaft an uns weiter: "Seht nicht weg wenn Unrecht geschieht. Hinterfragt politische Entscheidungen, um euch dann ein eigenes Bild zu machen. Schließt euch nicht, ohne nachzudenken, der Masse an, sie könnte irren. Freiheit ist das höchste Gut."

Irgendwann macht man sich als junger Mensch dann selbständig auf die Suche nach Vorbildern, um eine Orientierung zu haben, einen Leitfaden für ein eigenständiges Leben.

Die Erkenntnis war und ist: "Menschlich und politisch habe ich in Willy Brandt's Grundsätzen eine Heimat gefunden!

Je näher der Termin des 100.Geburtstags rückte, desto mehr wuchs in mir das Bedürfnis, den Menschen mitzuteilen, welch großes Erbe er uns mit auf den Weg gegeben hat. Diese Orientierung wichtiger denn je, in einer Zeit, wo es Politiker nicht mehr vermögen offen und ehrlich zu sein. Machterhalt um jeden Preis das politische Geschehen bestimmt. Eine Gesellschaft, die durch die geschürte "Angst vor Veränderung" mundtot gemacht wird.

Ich bin kein großer Redner, das Ausformulieren von Texten ist auch nicht unbedingt meine Stärke.
 Jedoch ist es mir möglich Botschaften mit meinen Häkel- und Strickwerken auszudrücken.

Also habe ich mich an die Arbeit gemacht:



Der erste Schritt führte mich an den geplanten Ort der Aktion, um mir einen Eindruck der Größenordnung zu verschaffen. Schnell stand fest, das allein das umhäkeln der Bank 10 Meter Wollbahnen benötigen würde.
Letztendlich wurden ca. 4 Quadratmeter umhäkelt. Der Wollverbrauch betrug ca. 2600g. Würde man das verhäkelte Garn ausrollen, wäre ein Spaziergang entlang eines 7km rot-weißen Wollfadens möglich.
Die reine handwerkliche Arbeitszeit betrug grob gerechnet ca. 200 Arbeitsstunden.

Damit war aber noch lange nicht geklärt, welch unmissverständliche Aussagen auf den Wollbahnen angebracht werden sollten.

Deshalb war es  nötig, mir vergessenes, verlorenes und neues Wissen anzueignen:



Aus Platzgründen musste ich mich leider auf vier seiner unzähligen Zitate beschränken.



Die Zitate allein waren mir dann nicht genug, um Kunst im öffentlichen Raum zu schaffen, die jeder im Vorbeigehen wahrnimmt. Kunst die zum Innehalten und Nachdenken auffordert.

Ein "Willy Du fehlst!" anzubringen, habe ich dann wieder verworfen, da ein alleiniges Bedauern über den Verlust eines Jahrhundertpolitikers uns in diesem Land nicht weiterbringt.

Wir müssen nach Vorne schauen, uns weiterentwickeln, aber im Sinne seines Erbes. Wir haben zwar den Menschen Willy Brandt verloren, jedoch nicht das was er uns hinterlassen hat. Dadurch kann es möglich sein, ihn in die Mitte unserer Gesellschaft zurückzuholen.






Willy Brandt:
„Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“
Aus einem Grußwort an den Kongress der Sozialistischen Internationale in Berlin, 15. September 1992







Willy Brandt:
„Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit. Die Freiheit für viele, nicht nur für die wenigen. Freiheit des Gewissens und der Meinung. Auch Freiheit von Not und von Furcht.“
Aus der Rede vor dem außerordentlichen SPD-Parteitag in Bonn, 14. Juni 1987








Ab jetzt werde ich die Bilder sprechen lassen, damit sich jeder seine Meinung selber bilden kann.
Am Schluss dieses Blogbeitrages habe ich eine Presseerklärung angefügt, die ich an eine breitgefächerte Auswahl Pressevertreter senden werde.


Vorher möchte ich jedoch noch die Gelegenheit nutzen mich bei all jenen zu bedanken, ohne deren Unterstützung eine Realisierung dieses Vorhabens nicht möglich gewesen wäre,

- bei meinem Mann und meinen Kindern, für die es selbstverständlich war mir den geforderten                      Freiraum zuzugestehen, um dieses Projekt zu verwirklichen.

- bei meinen Freunden von der "Nürnberger Häkelmafia", die mich nicht nur häkelnd, sondern auch
   freundschaftlich unterstützt haben.

-bei Verlag-testimon, für den äußerst lehrreichen, humorvollen Beistand, der darin gipfelte, mich immer
  wieder mit wichtiger Lektüre zu versorgen. Die vielen Fragen meinerseits mit viel Geduld zu
  ertragen und mir bereitwillig geschichtliche Hintergründe zu erläutern, damit ich alles in dieser Form
  verwirklichen













Erklärung der Street-Art-Künstlerin Wooly Worlds (Jutta Leykauff) zu ihrer Aktion auf dem Nürnberger Willy-Brandt-Platz anlässlich des 100. Geburtstags des Friedensnobelpreisträgers am 18. Dezember 2013

Das Leben und Wirken Willy Brandts als Antifaschist, Emigrant und sozialdemokratischer Politiker haben mich in meinem Denken stark beeinflusst. Meine Aktion soll dazu dienen, mit meinen künstlerischen Mitteln an ihn und sein Tun zu erinnern, um dadurch neue Anstöße zu geben, denn für mich steht fest, dass er vom heutigen Zustand der Welt, Deutschlands und seiner Partei zutiefst enttäuscht wäre. Gleichzeitig glaube ich, dass ihm als souveräner, antiautoritärer und humorvoller Persönlichkeit die ironische und provokative Form gefallen hätte, v.a. wenn sie zu einer Reaktion der Obrigkeit führen sollte.

Folgende Überlegungen haben die Entwicklung und Realisierung des Projekts bestimmt:
Der wichtigste Wert der Demokratie ist die individuelle Freiheit. Alle Demokraten müssen sie mit Solidarität und eigenem kritischen Denken gegen Extremisten und Manipulatoren verteidigen. Ein System, das auf Verdummung, Trägheit und Konsumismus beruht, ist undemokratisch. Der tägliche Kampf um die Demokratie erfordert Zivilcourage, dazu Willy Brandt: „Wo die Zivilcourage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit.“
Es ist ein Zeichen der wachsenden sozialen Ungerechtigkeit und der Manipulation, wenn die Schwachen auf die noch Schwächeren einprügeln und für Missstände verantwortlich machen, deren Ursachen in Wirklichkeit im entfesselten Kapitalismus liegen.
Nationalstolz ist keine negative Eigenschaft, wenn wir uns zugleich als Europäer und Menschen einer Welt verstehen. Felipe Gonzales sagte in seiner Trauerrede über Willy Brandt treffend: „Deutscher bis ins Mark, Europäer aus Überzeugung, Weltbürger aus Berufung“. Die Geschichte darf dabei nicht vergessen werden; nur durch das Lernen aus ihr und ihren Fehlern kann die Zukunft gestaltet werden.
Die Vielfalt von Kunst und Kultur ist eine unentbehrliche Grundlage für eine lebendige Gesellschaft, die durch sie zu Diskussionsbereitschaft und kulturellem Austausch ermutigt wird.
Schon Brandt erkannte, dass der Zuwachs der Menschheit an Weisheit und Moral dem technischen Fortschritt weit hinterherhinkt. Heute werden nahezu alle globalen Entwicklungen nur noch unter finanziellen oder wirtschaftlichen Aspekten bewertet. Dies ist ein Rückschritt hinter 300 Jahre europäische Geistesgeschichte, den wir bitter bereuen werden, wenn wir ihn nicht korrigieren.
Die SPD war Willy Brandts Leben. Für ihn war es selbstverständlich, dass die Arbeitnehmer gemeinsam für ihre Rechte kämpfen müssen und bürgerliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit immer wieder gegeneinander abzuwägen sind. Er verachtete Politiker, die sich um des Machterhalts willen prinzipienlos selbst auf das Podest allwissender Arroganz stellen. Gegen Ende seines Lebens wurde er noch Zeuge der Auflösungserscheinungen, die nach dem Ende der bipolaren Welt 1989/90 eintraten, und warnte vor dem Verlust der Orientierung an verbindlichen Werten. Seine Mahnung, die heute nichts anderes als eine Rückbesinnung bedeuten kann, ist sein Vermächtnis an seine Partei, sein Land und eine Welt, in der Manchestertum als Liberalismus ausgegeben wird, der Staat aber gleichzeitig nach Gutdünken paternalistisch in das Leben der Menschen eingreift. Um Bevormundung und Scheindemokratie zu verhindern, müssen wir zu Willy Brandts sozialistischem Humanismus zurückkehren.


Die Installation wurde von mir nach dem Fotoshooting aus Rücksichtnahme auf evtl. am 18. Dezember geplante Ehrungen und Kranzniederlegungen wieder entfernt. Sie wird hinterher wieder angebracht, damit sie der Öffentlichkeit als Kunst im öffentlichen Raum zugänglich gemacht werden kann.


Aktuelle Ergänzung vom 16.12.2013!
Nachdem wir erfahren haben, dass die Nürnberger SPD "Ihren Willy" schon vorher geehrt hat, musste ich doch noch einmal Rücksprache halten. Willy und ich haben uns dann auf Mittwoch 10.00 geeinigt, in der Hoffnung, dass es viele Menschen gibt, die es an diesem Ehrentag auf den Willy- Brandt- Platz zieht, um den größten Politiker zu ehren, den dieses Land jemals hervorgebracht hat!


Laßt uns endlich wieder vernünftig diskutieren in diesem Land und zeigt Zivilcourage!




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